Psychiatrie

Unser Team arbeitet seit vielen Jahren mit Patientinnen und Patienten mit einer bipolar affektiven Erkrankung und deren Angehörigen. Um neue Erkenntnisse und damit eine schnellere und bessere Diagnose und Behandlung der bipolaren Erkrankung zu erlangen, führen wir laufend aktuelle Forschungsprojekte durch. 

Zu Beginn haben wir uns mit der Erforschung von körperlichen Erkrankungen und dem körperlichen Gesundheitszustand von bipolar Erkrankten beschäftigt. Dies ist nach wie vor ein Schwerpunkt unserer Forschungsgruppe, wobei sich unsere Interessen auch auf damit verbundene und weitere Bereiche erweitert hat.

Forschungsschwerpunkte

BIOMARKER

Aktuell kann die psychiatrische Diagnosestellung, Verlaufsdiagnostik und Einschätzung der Ausprägung der aktuellen Symptomatik nur durch ein Gespräch mit den Betroffenen beziehungsweise dem Umfeld erhoben werden. Darauf basierend leiten sich Prognose und Behandlungsempfehlungen ab. Es wurde jedoch schon herausgefunden, dass neben genetischen Gegebenheiten und Störungen im Botenstoff-Gleichgewicht im Gehirn (Serotonin, Noradrenalin, Dopamin) diverse weitere biologische Prozesse eine Rolle in der Entstehung, Rückfällen und Ausprägung der bipolaren Erkrankung spielen. Vor allem geringgradige Entzündungsprozesse sind vermutlich relevant für die Aufrechterhaltung der Erkrankung und den Zusammenhang zum erhöhten Auftreten von körperlichen Erkrankungen. Diese Entzündung hat zudem Auswirkungen auf kognitive Fertigkeiten und auf den Abbau von Tryptophan. Auch der Vitamin-Stoffwechsel scheint bei der bipolaren Erkrankung verändert zu sein.

Mit dem Ziel in der Zukunft Biomarker messen zu können um objektive Werte über den aktuellen Zustand der Erkrankung abbilden zu können und weiterführend personalisierte Behandlungsempfehlungen geben zu können ist die Biomarker-Forschung ein großes Anliegen unserer Forschungsgruppe.

KOGNITION & METAKOGNITION

Neurokognitive Defizite sind häufige Begleiterscheinungen der bipolaren Störung. Sie persistieren nicht nur in akuten Krankheitsphasen, sondern ebenfalls in euthymer Stimmungslage, auch teilweise unabhängig von medikamentöser Therapie. Die häufigsten kognitiven Beeinträchtigungen, die bei bipolaren Patient*innen auftreten, sind Konzentrationsstörungen, Aufmerksamkeitsstörungen, Informationsverarbeitungsstörungen, Beeinträchtigungen der exekutiven Funktionen und des Gedächtnisses. Aber auch metakognitive Faktoren („Das Denken über das eigene Denken“) können den Krankheitsverlauf mitbeeinflussen. Kognitive Defizite stehen auch maßgeblich mit der Funktionsfähigkeit im Alltag in Zusammenhang und beeinträchtigen die Lebensqualität sehr. Derzeit gibt es erste Daten, die zeigen, dass kognitive Störungen auch durch einen ungesunden Lebensstil und Übergewicht bei bipolaren Menschen beeinflusst werden. Es ist daher ein Ziel der Forschungsgruppe, die Prävalenz und die Auslösefaktoren kognitive Defizite bei unseren Patient*innen frühestmöglich zu erfassen. Darüber hinaus sollen die Auswirkungen kognitiver Dysfunktionen auf den Krankheitsverlauf sowie die Effekte gezielter therapeutischer Interventionen auf die Kognition erforscht werden.

GENETIK & EPIGENETIK

In unserer Forschungseinheit wird unter anderem der Schwerpunkt "Psychiatrie-Genetik" intensiv beforscht. Hierbei bildet die Untersuchung der Genetik und Epigenetik affektiver Störungen (bipolare und unipolare Depression) den Hauptschwerpunkt.

Insbesondere werden die "Molekulare 24 Uhr" und der "zelluläre Stress" (Endoplasmatischer Retikulum Stress und oxidativer Stress) genetisch, epigenetisch und molekularbiologisch untersucht. Die Untersuchung der zircadianen Rhythmik ist von besonderem Interesse, weil das komplizierte Uhrenwerk mehrerer Clock-Gene eng mit dem Neurotransmitterabbau über die MAOA (Monoaminooxidase A) zusammenhängt. Auch Life-Style-Erkrankungen (z.B. Adipositas) sind eng mit gestörten 24h Rhythmen, zellulärem Stress und chronischer Inflammation assoziiert und werden in diesem Zusammenhang in unseren Studien auf molekularbiologischer Ebene untersucht. Des Weiteren wirkt sich auch das stimmungsstabilisierende Lithium positiv auf die molekulare 24 Uhr aus. Im Rahmen des renommierten ConLiGen Consortiums nehmen wir auch an der Erforschung der Lithium-Response auf genetischer Ebene teil. Ebenso partizipieren wir am internationalen PSYCOURSE Consortium, welches den Langzeit Verlauf der bipolaren Störung erforscht. Zusammengefasst wollen wir einen Beitrag zur weiteren molekularbiologischen Entschlüsselung der affektiven Störungen leisten, um in Zukunft Laborbiomarker und bessere Behandlungsmöglichkeiten zu finden.

BILDGEBUNG

Um eine Vorstellung der neurobiologischen Grundlagen der bipolaren affektiven Störung zu erlangen ist es unerlässlich Methoden anzuwenden, die in der Lage sind dem jeweiligen Forscher direkten Einblick in das menschliche Gehirn zu geben.

Die moderne Technik kennt hierzu generell unterschiedliche Methoden. Die Magnetresonanztomografie, die gegenwärtig die etablierte Methode zur Diagnostik unterschiedlicher Erkrankungen des Gehirns darstellt, kann diese Aufgabe technisch am besten bewerkstelligen. Ihre Anwendung ermöglicht zum einen die generelle bildliche Darstellung des Gehirns, wodurch es möglich ist zum Beispiel Volumina einzelner Bereiche zu messen. Jedoch kann auch durch Anwendung spezieller weiterentwickelter Verfahren auch Einblick die für das menschliche Auge nicht mehr sichtbare Mikrostruktur genommen werden, welche vor allem im Zusammenhang mit psychiatrischen Erkrankungen eine besondere Bedeutung zu haben scheint.

Bei unseren Forschungsprojekten bedienen wir uns einer Vielzahl dieser Methoden um den Zusammenhang spezifischer Veränderungen des Gehirns und der bipolaren affektiven Störung besser verstehen zu können.

LEBENSSTIL

Im Bereich "Lifestyle" beschäftigen wir uns klinisch und auch wissenschaftlich mit den Zusammenhängen von Lebensstilfaktoren- wie Bewegung, Ernährung und Schlaf- und der Entwicklung von psychischen Erkrankungen. Wir wissen, dass regelmäßige, moderate Bewegung psychischen Erkrankungen entgegenwirken kann und die Rückfallhäufigkeit affektiver Phasen bei vorhandener bipolarer oder unipolar depressiver Erkrankung reduzieren kann. Auch das Einhalten der individuell benötigen Schlafdauer und geregelter Schlafens- und Wachzeiten wirkt sich positiv auf die psychische Gesundheit aus. Veränderungen in diesen Lebensstilbereichen können erste Anzeichen für den Beginn einer erneuten Krankheitsepisode sein. Besonders dann ist es wichtig selbstwirksam und aktiv dagegen zu steuern.

Ebenso widmen wir uns intensiv dem Thema der Darmgesundheit auf verschiedenen Ebenen. Die Darm-Hirn-Achse ist Gegenstand intensiver Forschung, da diese Achse vermutlich an der Stressverarbeitung maßgeblich beteiligt ist. Stress und andere psychosomatische Faktoren begünstigen Veränderungen der Besiedelung unseres Darms, aber auch umgekehrt kann die Darmbesiedelung unser Denken beeinflussen. Der Darm beinhaltet einen großen Teil aller menschlichen Immunzellen und ist mit mehreren Millionen Nervenzellen ausgestattet, sodass er über den Vagusnerv Botschaften zwischen Darm und Gehirn übermittelt. Studien im Tiermodell unterstützen die Hypothese, dass der Einfluss des Magen-Darm-Mikrobioms auf das Gehirn über mehrere unterschiedliche Mechanismen erfolgt. Humanstudien zeigten zudem, dass etwa die extraintestinale Disseminierung darmstämmiger Bakterien („bakterielle Translokation“) bei Personen mit affektiven Erkrankungen häufiger waren als bei psychisch gesunden Menschen und dass Menschen mit Depressionen und bipolaren Störungen ein verändertes Mikrobiom (veränderte Darmflora) aufweisen. Das Ziel unserer Studie im Bereich der Darmgesundheit ist es durch die Veränderung der Darmbakterien auch psychische Symptome positiv beeinflussen zu können.

DIGITALISIERTE PSYCHIATRIE

Mit fachlicher Unterstützung durch unsere Ambulanz hat das Unternehmen meemo-tec die wichtigsten Psychoedukationsinhalte graphisch in Form von acht Animations-Videos aufbereitet. Lernen Sie mehr über Ihre Erkrankung: https://bipolar-academy.com

In den meisten Fällen zeigen sich zu Beginn einer Episode wiederkehrende Warnzeichen, die sich häufig in Veränderungen der Schlafqualität, körperlicher Aktivität und der Belastbarkeit zeigen. Des Weiteren ist es bekannt, dass ein kontinuierliches Stimmungs- und Aktivitätenmonitoring und ein Hinterfragen von Änderungen positiv einer krankheitswertigen Entwicklung entgegenwirken können. Wir haben daher die Entwicklung der Smartphone-App UP!, die kontinuierliche und objektive Daten zu ihrem Stimmungsverlauf, körperlicher Aktivität, Schlafdauer und digitaler Kommunikation messen kann unterstützt und die Messgenauigkeit in einer Studie untersucht.

Möglicherweise werden wir in der Zukunft auch durch unser neustes Teammitglied den Roboter „Pepper“ in der Diagnostik und Behandlung der bipolaren Erkrankung unterstützt:

PSYCHOPHYSIOLOGIE UND STRESSFORSCHUNG

Körperliche Reaktionen auf Entspannung oder Stress zeigen sich im Bereich der Atmung, der Muskelspannung, der Herzfrequenz sowie Temperatur und Durchblutung. Während einer anspruchsvollen Situation, kalte schwitzende Hände, eine flache Atmung, sowie eine angespannte Muskulatur und eine erhöhte Herzfrequenz wahrzunehmen, kennen viele aus zahlreichen Alltagssituationen. Folgt auf so eine körperliche Reaktion keine Entspannung und Erholungsphase, können sich körperliche Symptome, wie beispielsweise Schmerz, Schwindel oder ähnliche Symptome auch auf Dauer einstellen. Zahlreiche Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass Patient*innen mit einer psychischen Erkrankung eine erhöhte Wahrscheinlichkeit aufweisen an einer körperlichen Erkrankung, wie beispielsweise einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu erkranken. Die fehlende Stressregulationsfähigkeit zählt zu den Hauptgründen für diese erhöhte Vulnerabilität. Die Stressregulationsfähigkeit (ein Anpassen der Reaktion auf Stress und Entspannung im Wechsel) gehört zu einer gesunden körperlichen Bewältigung von Entspannung und Stress, die auch passende Emotionen, wie Ruhe und Zufriedenheit auslösen kann. Außerdem stellt sie eine wesentliche körperliche Grundlage für die gelingende Emotionsregulation im Allgemeinen da. Im Rahmen der Stressforschung führt die Abteilung für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin Studien durch, die sich mit der körperlichen Regulationsfähigkeit von Patient*innen mit einer affektiven Störung beschäftigt. Weiters wird versucht, Ansätze zu finden, um die Regulationsfähigkeit zu erhalten oder zu verbessern. Damit würde im besten Fall das kardiovaskuläre Risiko dauerhaft zu senken sein.

SOMATISCHE VERSORGUNG PSYCHISCH KRANKER MENSCHEN

Das Ziel dieses Projektes mit dem Arbeitstitel „Psyche, Ökonomie, Medizin: Spannungsfelder in der Versorgung psychiatrischer Patientinnen und Patienten im österreichischen Gesundheitswesen“ ist es eine mögliche Benachteiligung von psychisch-kranken Menschen in der somatischen Versorgung in der Steiermark aufzuzeigen. Im Rahmen dieses Projekts wird die Häufigkeit von sowie der Umgang mit somatischen Komorbiditäten bei Menschen mit einer psychischen Erkrankung anhand von qualitativen und quantitativen Methoden aus Sicht von Patient*innen, Primärversorger*innen und Psychiater*innen evaluiert. Unter somatischen Komorbiditäten werden medizinische Zusatzerkrankungen verstanden, man spricht in diesem Zusammenhang auch von Doppel- oder Mehrfachdiagnose. Darüber hinaus werden im vorliegenden Projekt ökonomische Aspekte der Versorgungssituation anhand ausgewählter Indikatoren analysiert. Daraus ergeben sich Handlungsempfehlungen für die bessere Versorgung somatischer Komorbiditäten bei psychischen Erkrankungen sowie für das zukünftige Unterbinden etwaiger Benachteiligungen, welche im Sinne der Zwei-Klassen-Medizin vermutet werden